Die Hungerwolke

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Literatur/Quellen:

„Atemschaukel“
Herta Müller, 2009
Hansa Verlag

Dieses Bild entstand nach der Lektüre des Buches Atemschaukel von Herta Müller. Dort wird der „Hungerengel“ beschrieben, der als ständiger Begleiter des Straflagerlebens präsent ist: „Weiß das Meldekraut [das man nicht mehr essen kann, weil es bitter geworden ist und verholzt], dass es nicht mehr uns und dem Hunger dient, sondern dem Hungerengel? Die roten Rispenketten sind ein Geschmeide um den Hals des Hungerengels.“ (Seite 25 Atemschaukel ).

In dem Bild findet sich für mich auch das immerwährende Elend, mit dem man in Großstädten konfrontiert ist. „Hunger“ steht hier exemplarisch für alle Ausprägungen von Verelendung. Zwar ist dies ein ganz anderer Kontext als der in Herta Müllers Buch, aber man kommt nicht umhin, auch diese Form des Leidens am Hunger mit anderen Augen zu betrachten, wenn man das Buch gelesen hat.

Der Hunger und seine fortschreitenden Auswirkungen sind nicht nur an der Haltung der Bettlerin erkennbar, sondern auch am Verschwinden der Gesichtskonturen. Die äußere Form des Gesichts war einst noch füllig und rund, was in den Linien, inzwischen ohne Farbe, noch erkennbar ist, aber die inneren Linien beschreiben eine deutlich abgemagerte Gesichtsform, die im Verhältnis zu Augen, Mund und Kopfgröße nicht mehr stimmig ist. Auch die Position der Bettlerin, hinter einem Fels- oder Mauervorsprung, drückt Scham und Zurückgezogenheit aus, wie sie oft mit Verarmung und Verelendung einher gehen.

Der einzig verbliebene Kontakt zur Gesellschaft (und dem Betrachter) ist das Bitten um etwas zu essen oder Geld dafür. Die Hungerwolke ist in mehrfacher Weise im Bild vorhanden:
über dem Kopf der Bettlerin, aber auch in deren Hals- und Brustbereich – oder ist es ein wärmendes Tuch, das der Kälte, die mit Hungern einher geht, entgegenwirken soll? „Hungerwolke“ ist im Gegensatz zu „Hungerengel“ keine Personifizierung des Hunger(n)s.

In „Wolke“ drückt sich eher die Verneblung, die (bedrohliche) Verschlechterung der inneren Wetterlage, das Verhüllen des Tageslichts, aus. Die ganze Wucht der Interpretationsbandbreite entfaltet das Bild vielleicht nur denjenigen, die eine solche Situation kennen.

Letzteres prägt den Menschen sicherlich auch langfristig. Im Buch Atemschaukel heißt es „Ich esse seit meiner Heimkehr aus dem Lager, seit sechzig Jahren, gegen das Verhungern.“ (S. 25)