
Der Parze Stahl
(Im Hospiz, Sterbeprozess)
120 x 160 cm
Öl auf LW
2022
Ende des Jahres 2021 verstarb ein Verwandter in der mütterlichen Familie, er verbrachte die letzten Tage im Hospiz. Ich besuchte ihn dort und war beeindruckt von der unmittelbaren Erfahrbarkeit des Sterbeprozesses, vom
schrittweisen Rückzug aus dieser Welt, die ein Sterbender vollzieht.
Für die Außenstehenden zum Teil noch erreichbar, aber ab einem bestimmten Punkt auchnichtmehrerreichbar. Die Situation ist keine 24 Stundenlang die gleiche,
wenn jemand verstirbt, die ganze Zeit über passiert etwas, das uns vielleicht im Moment des Geschenhens überfordert, uns aber im Rückblick dazulernen läßt, wie Sterben geht.
Sachinformationen:
Der Parze Stahl ist der Parze Schere, mit der sie den Lebensfaden durchtrennen wird. Diesen Ausdruck lernte ich kennen in einem Lied von Franz Schubert („Der Sänger am Felsen“), das wiederum auf ein Gedicht von Caroline Pilcher zurück geht.
Dort heißt es „Klage, meine Flöte, klage! Kürzt den Faden meiner Tage bald der strengen Parze Stahl: Klage dann auf Lethes Matten irgendeinem guten Schatten meine Lieb’ und meine Qual!“
Die Parze ist eine der drei Nornen, d.h. eine der Schicksalsgöttinen, die den Lebensfaden in den Händen halten und schließlich eben auch abschneiden. Der Begriff „Norne“ kommt aus der nordischen Mythologie und ist das Äquivalent zur römischen „Parze“.

In diesem Bild sind Momente enthalten, die einem begegnen können, wenn ein Mensch verstirbt. Der Körper ist noch zugewandt, aber der Blick, der Kopf sind abgewandt. Direkte Kontaktaufnahme über Sprechen, Blickkontakt, ist nicht mehr möglich.
Die Orientierung des Sterbenden ist schon in eine andere Sphäre hin gerichtet, in die wir, die Zurückbleibenden, nicht folgen können – er schaut nach hinten. Der Bereich, in den der Sterbende schaut, ist optisch abgegrenzt vom sonstigen Inhalt des Bildes, nach beiden Seiten hin.
Das Hirn, das wir mit dem Sitz der Persönlichkeit, dem Wesen, der Seele des Menschen assoziieren, scheint den Sterbenden bereits zu verlassen. Im Vordergrund brennt eine Kerze, wie in vorweggenommener Totenwache. Der Sterbende steht zwischen mehreren Mauern, wodurch das Bild mehrere Ebenen erhält. Der Betrachter ist schon rein räumlich vom Sterbenden durch die erste Mauer getrennt, die aber durch die Hände und weil sie nur hüfthoch ist, noch zu überwinden wäre.
Die zweite Mauer scheint nicht mehr passierbar zu sein auf Wegen, die dem Betrachter noch zur Verfügung stünden, sie ist zu hoch, und was dahinter kommt, ist nicht mehr erkennbar. Der Sterbende scheint aber dort etwas zu sehen, zu finden, das seine Aufmerksamkeit bereits vollständig absorbiert. Auf der Mauer liegt der Stahl der Parze – wurde die Schere bereits verwendet, oder liegt sie dort, gleichsam als Zeichen, dass der Tod unmittelbar bevorsteht
Wie als Ergänzung der Szenerie scheint der Sterbende ein Knäuel zu halten, oder auch weiterzureichen, über die Mauer nach vorne zu reichen, als würde der Lebensfaden weitergegeben werden wollen, der Sterbende längst verstanden hat, dass er seine letzten Schritte tut. Auch das entsprechende Kleidungsstück, von dem der Faden stammt, wurde bereits ausgezogen und über die Mauer gelegt, wie um es dort abzulegen und zurückzulassen.
